4. Oktober 2010

JÑĀNAM ANNAM



Ānandavallī – Upanishad
(Taittirīya-Upanishad II)



Wer das Brahman kennt, erlangt das Höchste.

Ein Vers sagt:

„Wer im Brahman, das in einer Höhle, im höchsten Himmel verborgen ist, Wahrheit, Erkenntnis, Freude sieht, der erlangt durch Brahman, das weise, alle Wünsche.“

Aus diesem Brahman ist der Äther entstanden,
aus dem Äther der Wind,
aus dem Wind das Feuer,
aus dem Feuer das Wasser,
aus dem Wasser die Erde,
aus der Erde die Pflanzen,
aus den Pflanzen die Speise,
aus der Speise der Mensch.

Der Mensch 
 besteht aus Speise und Trank.
Von ihm ist das (auf den Kopf zeigend) das Haupt,
das die rechte,
das die linke Seite,
das die Seele (Herz),
das das Unterteil, die Stütze.

Ein Vers sagt:

„Aus der Speise entstehen die Geschöpfe, die auf der Erde wohnen;
sie leben durch die Speise und gehen schliesslich in Speise ein.
Speise ist das Beste für die Wesen; darum wird sie Allheilmittel genannt.
Jegliche Speise erreichen die, die im Brahman die Speise verehren.
Speise ist das Beste für die Wesen; darum wird sie Allheilmittel genannt.
Aus Speise entstehen die Wesen, 
daraus entstanden, wachsen sie durch Speise;
sie wird gespeist und verspeist die Wesen,
darum wird sie Speise genannt.“


Von diesem aus Speise und Trank bestehenden ist der innere Ātman verschieden,
der aus Hauch besteht
Jener ist davon erfüllt. Jener hat Menschenform, und seiner Menschenform entsprechend hat auch dieser 
Menschenform.
Der Hauch (prāna) ist der Kopf,
der Durchhauch (vyāna) die rechte,
der Aushauch (apāna) die linke Seite,
der Äther die Seele,
die Erde das Unterteil, die Stütze.


Ein Vers sagt:

„Infolge des Hauches atmen Götter, Menschen und Tiere; 
der Hauch ist das Leben der Wesen;
darum heisst er Allbeleber.“
Zu einem hohen Alter gelangen die, 
die in dem Prāna das Brahman verehren.


Ihm ist dasselbe körperliche Selbst wie dem vorigen eigen.
Von diesem aus Hauch bestehenden Ātman ist der innere Ātman verschieden,
der aus Manas (Geist) besteht
Jener ist davon erfüllt. Jener hat Menschenform, und seiner Menschenform entsprechend hat auch dieser 
Menschenform.
Der Yayurveda ist sein Kopf,
der Rigveda seine rechte,
der Sāmaveda seine linke Seite;
die Unterweisung (Upanishaden) seine Seele.
Atharvan und Angiras (Atharvaveda) ist das Unterteil, die Stütze.


Ein Vers sagt:

„Vor dem Worte und Verstand, 
ohne ihn erreicht zu haben, versagen, 
das ist der Wonnezustand des Brahman.
Wer ihn kennt hegt nie mehr Furcht.“


Ihm ist dasselbe körperliche Selbst wie dem vorigen eigen.
Von diesem aus Geist bestehenden ist der innere Ātman verschieden,  
der aus Erkenntnis besteht.
Jener ist davon erfüllt. Jener hat Menschenform, und seiner Menschenform entsprechend hat auch dieser Menschenform.
Der Glaube ist sein Kopf,
Rechtschaffenheit die rechte,
Wahrheit die linke Seite;
 die Versenkung (Meditation) seine Seele;
die Macht (Urteilsvermögen)das Unterteil, die Stütze.


Ein Vers sagt:

„Erkenntnis breitet er als das Opfer mit seinen Zeremonien aus. 
In der Erkenntnis verehren alle Götter das höchste Brahman. 
Wenn einer in der Erkenntnis das Brahman sieht 
und darin nicht ermattet, 
dann lässt er im Leib alle Übel zurück 
und erreicht alle Wünsche.“


Ihm ist dasselbe körperliche Selbst wie dem vorigen eigen.
Von diesem aus Erkenntnis bestehenden ist der innere Ātman verschieden,  
der aus Wonne besteht.
Jener ist davon erfüllt. Jener hat Menschenform und entsprechend jener Menschenform hat auch dieser Menschenform.
Freude ist sein Kopf,
Zufriedenheit seine rechte,
Entzücken seine linke Seite,
Wonne (Glückseligkeit) seine Seele,
das Brahman das Unterteil, die Stütze.


Ein Vers sagt:

„Wer im Brahman das Nichtsein sieht, der wird zum Nichtseienden.
Wenn einer weiss, dass Brahman ist, den kennt man als einen Seienden“


Ihm ist dasselbe körperliche Selbst wie dem vorigen eigen.

(Infolge davon entstehen die Fragen: „Kann ein Unkundiger nach seinem Tod in jene Welt eingehen oder erreicht sie ein Kundiger nach seinem Tode?“)
(Der Ātman wünschte sich zu vervielfachen und fortzupflanzen. Er übte Kasteiung, und nachdem er sie geübt hatte, schuf er alles, was besteht. Als er dies geschaffen hatte, ging er darein ein. Es entstand Gleichmässiges (sat) und Ungleichmässiges (tyat), Ausgesprochenes und Unausgesprochenes, Ursächliches und Nichtursächliches, Erkenntnis und Nichterkenntnis, Wahrheit und Nichtwahrheit. )
Die Wahrheit wurde zu allem, was existiert: 
darum sieht man es als Wahrheit an.


Das Nichtseiende war hier am Anfang.
Daraus entstand das Seiende.
Das hatte selbst sich geschaffen; darum heisst es wohl geschaffen.
Das ist das Wohlgeschaffene; das ist der Geschmack.
Wenn einer Geschmack findet, freut er sich.
Wie möchte einer aus- und einatmen, wenn es in dem Raum keine Freude gäbe?
Er bringt die Wonne.
Wenn einer in diesem Unsichtbaren, Unpersönlichen, Undefinierbaren, Nichtursächlichen
die Freiheit von Furcht als Grundlage findet,
der ist zur Freiheit von Furcht gelangt.
Wenn einer aber darin die Furcht sich aneignet, so wird ihm Furcht zuteil.
Das ist die Furcht dessen, der nicht weise dünkt.


ein Vers sagt:

„Aus Furcht vor ihm weht der Wind, aus Furcht geht die Sonne auf, 
aus Furcht vor ihm läuft Agni, Indra und zufünft der Tod.“


Es folgt eine Betrachtung des Wonnezustandes:


Gesetzt, es sei ein Jüngling trefflich, lernbegierig, sehr schnell, standhaft, kräftig,
die Erde für ihn voller Güter, so ist das eine menschliche Freude.

Hundert solcher Freuden sind gleich einer Freude unter den menschlichen Gandharvas
und eines von Wünschen freien Vedagelehrten.
manusya gandhavas sind die Musiker, Barden und Sänger in menschlicher Gestalt.

Hundert solcher Freuden der menschlichen Gandharvas
sind gleich einer Freude der göttlichen Gandharvas
und eines von Wünschen freien Vedagelehrten.
Gandharvas  ist der Name einer Klasse himmlischer Wesen;  Gottheit , die die Geheimnisse des Himmels und der göttlichen Wahrheit kennt und offenbart. Er ist eine Personifizierung des Lichts der Sonne. Seine Aufgabe ist es, den Soma, den Trank der Götter, zu bereiten. Gandharvas sind die himmlischen Musikanten und desshalb insbesondere mit der Kunst der Musik verknüpft.  

Hundert solcher Freuden der göttlichen Gandharvas
sind gleich einer Freude der Manen (Pitris), die lange dauernde Welten bewohnen,
und eines von Wünschen freien Vedagelehrten.
Pitris sind die Ahnen, die Vorfahren.

Hundert solcher Freuden der Manen, die lange dauernde Welten bewohnen,
sind gleich einer Freude der Götter von Geburt (Ājānajānām)
und eines von Wünschen freien Vedagelehrten.
Aja bedeutet ungeboren, jana bedeutet Kreatur, lebendiges Wesen.   ājāna Götter geboren im Himmel.  Wesen dir durch barmherzige Taten höhere Welten erreichen.

Hundert solcher Freuden der Götter von Geburt
sind gleich einer Freude der Götter durch Verdienst (Karmadevas/Siddhas)
und eines von Wünschen freien Vedagelehrten.  
Siddhas sind eine bestimmte Klasse von Wesen, die in den feinstofflichen Bereichen des Universums leben. Ein Siddha ist jemand, der alle Möglichkeiten die im Menschen vorhanden sind, im Dienste Gottes nutzen kann. Vollendet, eine Person, die das wahre Selbst erkannt hat oder Selbsterkenntnis erreicht hat.

Hundert solcher Freuden der Götter von Verdienst
sind gleich einer Freude der Götter (Deva)
und eines von Wünschen befreiten Vedagelehrten.
göttlich, himmlisch, leuchtend; göttliche Wesenheit, Gott; Gottheit; Bezeichnung für die Götter, die sich auf einer höheren Ebene befinden; sie sind in gewissem Sinne mit dem vergleichbar, was die christliche Lehre unter dem Begriff Engel oder Engelhierarchie fasst. Deva ist auch eine Beifügung zum Namen Erleuchteter, die göttliches Bewusstsein in sich verwirklicht haben.

Hundert solcher Freuden der Götter
sind gleich einer Freude Indras (Devadeva)
und eines von Wünschen befreiten Vedagelehrten.
Name einer Gottheit; in den Veden ist er der König der Götter (deva); er ist ein starker Held, der mit seinem Donnerkeil (vajra) alles Böse vernichtet; er ist der Freund der Menschen, ihr Gefährte und Bruder und vertreibt die Dunkelheit, die das Licht verschlossen hat. Makrokosmisch betrachtet beherrscht er das Wetter und sendet Regen, Blitz und Donner. Als Spender des Regens, der Quelle der Fruchtbarkeit, wird er verehrt, als Herrscher über die Unwetter gefürchtet.

Hundert solche Freuden Indras
 sind gleich einer Freude Brihaspatis
und eines von Wünschen befreiten Vedagelehrten.
Name einer Gottheit; er gilt als der Priester der Götter und ist identisch mit Brahmanaspati. Brihaspati ist der Schöpfer des Wortes, das schon im Veda als am Anfang aller Schöpfung stehend beschrieben wird und eine Manifestation des Göttlichen ist. Durch das Wort übermittelt er Erkenntnis, Überzeugungskraft und die Fähigkeit zum schöpferischen Rhythmus des Ausdrucks. Brihaspati schafft mit Hilfe des Wortes die Fähigkeit, die Dinge anzudeuten, die jenseits des Verstandes liegen und nur durch Intuition erfasst werden können.

Hundert solche Freuden Brihaspatis
sind gleich einer Freude Prajāpatis (Devendra)
und eines von Wünschen befreiten Vedagelehrten.
Herr der Geschöpfe; Herr des Universums. Prajāpati wird insbesondere in den Brāhmana-Texten als Gottheit bedeutsam und wird später zu einem Namen für Brahmā. Gewöhnlich werden zehn Rishis, die als geistgeborene Söhne Brahmās gelten, die zehn Prajāpatis genannt, und zwar: Marīci, Atri, Angiras, Pulastya, Pulaha, Kratu, Vasishtha, Pracetas oder Daksha, Bhrigu und Nārada. Nach anderen Quellen gibt es nur sieben Prajāpatis, die identisch mit den sieben grossen Rishis sind.

Hundert solcher Freuden Prajāpatis
sind gleich einer Freude Brahmans (Hiranyagarbha/Virāt/Īśvara)
und eines von Wünschen befreiten Vedagelehrten.
 Brahman der Schöpfergott; Name des Schöpfergottes, der die Entstehung des Universums bewirkt. Virātpurusha Bezeichnung für die männliche Schöpferkraft, die Brahmā aus sich selbst heraus erschaffen hat. Hiranyagarbha ist der goldene Keim; das goldene Ei, im Rigveda wird hiranyagarbha als der Anfang, der erste Schöpfungskeim beschrieben, der Himmel und Erde in sich enthält. Īśvara bedeutet Herr, Meister, der Mächtige und Allgewaltige; Gott in seiner herrschaftlichen Gestalt.

Der, der hier im Menschen wohnt,
 und der, der dort in der Sonne wohnt, ist ein und derselbe.

Wer das weiss, gelangt nach seinem Scheiden aus dieser Welt
in den Ātman, der aus Speise besteht;
in den Ātman, der aus dem Hauch besteht;
in den Ātman der aus Geist besteht;
in den Ātman, der aus Erkenntnis besteht;
in den Ātman, der aus Wonne besteht.
annamaya, pranāmaya, manomaya, vijnānamaya und ānandamaya
die fünf koshas (Hüllen) die das Selbst (ātman) umhüllen.

Ein Vers sagt:

„Vor dem Worte und Verstand, 
ohne ihn erreicht zu haben, versagen, 
das ist der Wonnezustand des Brahman. 
Wer ihn kennt hegt nie mehr Furcht.“

Ihn quält der Gedanke nicht mehr,
„was habe ich Gutes zu tun unterlassen, was habe ich Böses getan?“
Wer so weiss, befreit sein Ich von beidem;
von beidem befreit sein Ich, wer so weiss.